Wir brauchen einen „Gemeinwohlwert“

Kommunalpolitiker*innen werden sich in den kommenden Monaten einem besonderen Druck ausgesetzt sehen. Dieser Druck wird vor allem von Seiten der Verwaltungen ausgeübt werden. Ursache ist de Pandemie, die nicht absehbar große Löcher in die Haushaltskassen der Kommunen reißt. Die ersten Haushaltssperren, die immer mehr Kommunen jetzt verhängt haben, sind Ausdruck davon. Wenn es jetzt daran geht, die kommenden Haushalte aufzustellen, werden die Kämmerer*innen als erstes sagen, was sie sich alles nicht mehr leisten wollen. Und ganz oben auf der Streichliste werden die freiwilligen Leistungen an Vereine, Kulturtreibende und Initiativen der Zivilgesellschaft stehen.

Genau hier sind Kommunalpolitiker*innen aufgefordert zu widersprechen. Es kann nicht sein, dass den Verwaltungen nichts anderes einfällt, freiwillige Leistungen zuerst zu kürzen, wenn die Zeiten schlecht sind. Und das wäre nicht zum ersten Mal so. Seit 1998 beobachte ich in Karlsruhe die Kommunalpolitik intensiv: wie oft wurden freiwilige Leistungen in Frage gestellt. Etliche Male und immer wieder.

Der Wegfall solcher Unterstützung zerschlägt und zerstört in der Regel dauerhaft gewachsene Strukturen, in denen auf ehrenamtlicher Basis unglaublich viel geleistet wird für das Gemeinwohl. Es würde die Zivilgesellschaft deshalb jetzt doppelt bestrafen, wenn man ihnen die Unterstützung entzieht: erst können sie wegen der Pandemie nicht mehr tätig sein im Verein, in ihren Gruppen, in ihren Initiativen. Und jetzt könnten sie einfach finanziell ausbluten. Das darf nicht passieren.

Vielleicht ist in diesem Zusammenhang auch der Begriff der „Freiwilligen Leistung“ irreführend. Freiwillig bedeutet ja, dass die Kommunen für etwas Geld geben, ohne dass sie es müssten – im Gegensatz zu einer Pflichtaufgabe. Das ist auf dem Papier erst mal richtig. Niemals aber berechnen die Kommunen die Kosten, die anfallen, wenn sie eine freiwillige Leistung einstellen, für die sie dann an anderer Stelle möglicherweise wieder viel mehr Geld ausgeben. Um nämlich einen Missstand zu reparieren, der ansonsten gar nicht entstanden wäre – mit weniger Geld für eine freiwillige Leistung und viel ehrenamtlicher Arbeit.

Genau diesen Blickwinkel einzunehmen ist aber Aufgabe der Kommunalpolitiker*innen in den kommenden Monaten. Und im richtigen Moment „Stopp“ sagen. Das klingt jetzt abgedroschen: aber tatsächlich bin ich mittlerweile der Ansicht, dass die berühmt-berüchtigten Großprojekte aktuell ein Legitimitätsproblem haben. Sinnvoll wäre, einen so genannten „Gemeinwohlwert“ einzuführen. Er kann positiv ausfallen, wenn möglichst viele Menschen von etwas dauerhaft profitieren, weil es ihr Leben besser und sozialer macht. Erreicht ein Großprojekt einen entsprechend hohen positiven Wert – dann baut! Mit allen Nebenwirkungen und Folgekosten. Ich bin mir aber sicher, dass es sehr viele kleine Projekte gibt, die derzeit über eine freiwillge Leistung abgespeist werden und die künftig auf der Kippe stehen, die aber in Relation gesehen einen ebenso hohen „Gemeinwohlwert“ erreichen.

Die Aufsichtsbehörden Ihrerseits müssten im Gegenzug damit aufhören, lediglich Zahlen zu betrachten. Es ist schön, wenn Kommunen möglichst wenig Schulden haben. Man kann die gewachsenen Strukturen einer Kommune aber auch zerschlagen, wenn man ausschließlich Zahlenwerte und Bilanzen zugrunde legt, die Menschen dabei aber komplett ausblendet. In der momentanen Phase sind Menschen, die irgendetwas am Laufen halten, mit die wichtigste Ressource, die eine Kommune haben kann.

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